Uma Thurman: "Ich habe 47 Jahre gebraucht, um aufzuhören, Gemeinheit mit Liebe zu verwechseln"

Immer mehr Frauen sprechen sich öffentlich aus, über Gewalt, die sie in Beziehungen erlebt haben. Dennoch scheint es uns immer noch schwerzufallen, den Gedanken zu überwinden, dass Liebe und Leid zusammengehören ...
"Ich habe 47 Jahre gebraucht, um aufzuhören Leute, die gemein zu einem sind, als verliebt zu bezeichnen", sagt Uma Thurman im ARD-Porträt "Die stille Kämpferin Hollywoods". "Es hat lange gedauert, weil wir – denke ich – als kleine Mädchen darauf konditioniert werden, dass Grausamkeit und Liebe irgendwie miteinander verbunden sind, und das müssen wir überwinden."
Warum denken wir, dass Liebe und Schmerz zusammengehören?Ein starkes Zitat, mit dem die Schauspiel-Ikone einen Nerv trifft. Denn Sprüche wie "Liebe und Leid gehört zusammen" oder "Eifersucht ist sexy. Das zeigt wie sehr er dich will" kommen mir bekannt vor. Dir auch? Dann bist du wahrscheinlich a) eine Frau und b) in den 1970ern bis 1990ern aufgewachsen. Eine Zeit, in der toxisches Verhalten in der Popkultur, egal ob in Filmen oder Musikvideos, oft romantisiert wurde. Verhalten, das wir heute als gewaltvoll oder besitzergreifend erkennen würden – zumindest auf den zweiten Blick. Denn oft sitzen, unserer Sozialisierung sei Dank, solche Glaubenssätze doch tiefer, als uns lieb ist.
Psychologin und Beziehungscoach Stella Schultner bestätigt, dass wir das, was wir in der Liebe erleben und von der Liebe erwarten, bereits früh gelernt haben: "Viele Menschen hatten keine guten Vorbilder in Bezug auf 'Partnerschaft auf Augenhöhe'. Sie haben zuhause erlebt, wie ihre Eltern sich bekriegen, Macht ausüben und sich gegenseitig Schmerz zufügen", erklärt sie gegenüber BRIGITTE. "Medien, Filme, Songs, Bücher und Geschichten, die toxische Beziehungen glorifizieren oder als normal darstellen, tun ihr Übriges", fügt Schultner hinzu.
Gewaltvolle Strukturen erkennenMir fällt direkt eine Szene aus einer bekannten Liebeskomödie nach dem Roman von Nicholas Sparks ein, in der droht der Hauptdarsteller, aus dem Riesenrad zu springen, wenn seine Angebetete nicht auf ein Date mit ihm geht. Super romantisch? Eher emotionale Erpressung. Solche Darstellungen verfestigen die Vorstellung, dass Frauen sich unterwerfen müssen und Schmerz ein natürlicher Bestandteil von Liebe ist.
"Es gibt Menschen, die schon in ihrer Herkunftsfamilie so viel Gewalt und Unruhe erlebt haben, dass sie solche Dinge gar nicht schlecht bewerten würden", wirft Stella Schultner ein. Kürzlich hätte sie eine Klientin in der Sprechstunde gehabt, die ständig von ihrem Partner kleingemacht worden sei. Erst bei näherem Hinsehen habe die Klientin erkannt, dass ihr Vater genau so mit ihrer Mutter umgeht. "Durch unsere Gespräche ist ihr klar geworden, dass das keine Beziehung auf Augenhöhe ist und keine gute Grundlage für eine Familiengründung ist", so die Psychologin.

Du suchst nach Routinen, die dich beim Abschalten unterstützen? Du möchtest endlich mal wieder gut schlafen? Erfahre, wie du Stressphasen gelassen meisterst.
Viele Frauen sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass das Hauptziel im Leben darin besteht, einen Partner zu finden und diesen auch zu halten. Phrasen wie "die bessere Hälfte finden" suggerieren, dass wir ohne Partner:in nicht vollständig oder weniger wert sind. Wenn keine Alternativen aufgezeigt werden, keine Vorbilder existieren und das Gefühl entsteht, dass das gesellschaftlich Erwartete alternativlos ist, ist es schwer, sich davon zu lösen und eine eigene Vorstellung von einem erfüllten Leben zu entwickeln.
Zum Glück hat ein Umdenken stattgefunden, die Erzählungen und Beispiele für Beziehungen sind heute viel diverser als früher. Das zeigt sich schon daran, dass RomComs aus den 90er- und 2000er-Jahren einiges an Kritik einstecken müssen. Trotzdem fallen wir manchmal noch in alte Muster zurück oder erkennen diese erst viel später.
Die Fallstricke der weiblichen Sozialisierung"Frauen wurden über Jahrzehnte hinweg medial so geprägt, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, attraktiv zu sein, zu gefallen und Harmonie zu sichern", erklärt Stella Schultner. Diese Botschaft wirke bis heute. Viele Frauen hätten deshalb unbewusst gelernt, dass es gefährlich sein kann, eigene Bedürfnisse zu äußern oder Grenzen zu setzen, weil das bedeuten könnte, abgelehnt zu werden, so die Expertin. Wenn der Partner immer an erster Stelle steht, erschwert das wiederum, Gewalt zu erkennen und sich dagegen zu wehren.
Gewalt in der Partnerschaft ist selten von Anfang an da. Sie schleicht sich ein, sodass es Betroffene manchmal gar nicht wahrnehmen, beispielsweise mit Eingriffen in die Freiheit oder das Recht auf Selbstbestimmung, mit Sätzen wie "Mit dem Rock gehst du aber nicht raus" oder "Ich will, dass du um 23 Uhr zuhause bist".
Die Konsequenz der weiblichen Sozialisierung ist, dass selbst gewaltvolle Erfahrungen oft heruntergespielt oder ignoriert werden, um den Schein der Harmonie aufrechtzuerhalten. Das Druckgefühl, "lieb und nett" sein zu müssen und bloß nicht anzuecken, überwiegt. "Viele Frauen hinterfragen auch ihre eigene Reaktion auf unangemessenes Verhalten, anstatt das Verhalten selbst", erklärt Stella Schultner.
Wie kommen wir da raus?Leider fehlt es in unserer Gesellschaft an flächendeckender Bildung und Aufklärung über Gewalt in Beziehungen, insbesondere über subtile oder patriarchale Gewalt, die zunächst oft "harmlos" wirkt.
Zudem sind die gesellschaftlichen Strukturen oft unzureichend, um Betroffene zu schützen, es gibt etwa nicht genug Frauenhausplätze. Frauen werden mit ihren Erfahrungen allein gelassen, obwohl es sich bei diesen nicht gar um "Privatangelegenheiten" handelt, sondern um ein strukturelles Problem, das bekämpft werden muss.
Auch Stella Schultner sagt: "Frauen, die ihre Grenzen verschieben, nutzen das als Überlebensstrategie, die oft aus Liebe beginnt, aber langfristig zu innerer Erschöpfung und Unzufriedenheit führt." Umso wichtiger ist es, dass wir über unsere Erfahrungen sprechen, dass wir Partnerschaftsgewalt thematisieren – und dass wir Vorbilder sind für junge Mädchen, die durch uns lernen, für sich und ihre Bedürfnisse einzustehen.
Brigitte
brigitte